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Tagen hier sein. Er schreibt mir, daß ihm doch die deutsche Sprache nicht so geläufig sei, als er
geglaubt, daß er eines Gesellschafters bedürfe, der sie vollkommen nebst einigem andern besitze;
da er mehr wünsche, in wissenschaftliche als politische Verbindungen zu treten, so sei ihm ein
solcher Dolmetscher unentbehrlich. Ich wüßte niemand geschickter dazu als unsern jungen Freund.
Er kennt die Sprache, ist sonst in vielem unterrichtet, und es wird für ihn selbst ein großer Vorteil
sein, in so guter Gesellschaft und unter so vorteilhaften Umständen Deutschland zu sehen. Wer
sein Vaterland nicht kennt, hat keinen Maßstab für fremde Länder. Was sagen Sie, meine Freunde?
Was sagen Sie, Natalie?«
Niemand wußte gegen den Antrag etwas einzuwenden; Jarno schien seinen Vorschlag, nach
Amerika zu reisen, selbst als kein Hindernis anzusehn, indem er ohnehin nicht sogleich
aufbrechen würde; Natalie schwieg, und Friedrich führte verschiedene Sprüchwörter über den Nutzen
des Reisens an.
Wilhelm war über diesen neuen Vorschlag im Herzen so entrüstet, daß er es kaum verbergen
konnte. Er sah eine Verabredung, ihn baldmöglichst loszuwerden, nur gar zu deutlich, und was das
Schlimmste war, man ließ sie so offenbar, so ganz ohne Schonung sehen. Auch der Verdacht, den
Lydie bei ihm erregt, alles, was er selbst erfahren hatte, wurde wieder aufs neue vor seiner Seele
lebendig, und die natürliche Art, wie Jarno ihm alles ausgelegt hatte, schien ihm auch nur eine
künstliche Darstellung zu sein.
Er nahm sich zusammen und antwortete: »Dieser Antrag verdient allerdings eine reifliche
Überlegung.«
»Eine geschwinde Entschließung möchte nötig sein«, versetzte der Abbé.
»Dazu bin ich jetzt nicht gefaßt«, antwortete Wilhelm. »Wir können die Ankunft des Mannes
abwarten und dann sehen, ob wir zusammen passen. Eine Hauptbedingung aber muß man zum
voraus eingehen: daß ich meinen Felix mitnehmen und ihn überall mit hinführen darf.«
»Diese Bedingung wird schwerlich zugestanden werden«, versetzte der Abbé.
»Und ich sehe nicht«, rief Wilhelm aus, »warum ich mir von irgendeinem Menschen sollte
Bedingungen vorschreiben lassen und warum ich, wenn ich einmal mein Vaterland sehen will,
einen Italiener zur Gesellschaft brauche.«
»Weil ein junger Mensch«, versetzte der Abbé mit einem gewissen imponierenden Ernste,
»immer Ursache hat, sich anzuschließen.«
Wilhelm, der wohl merkte, daß er länger an sich zu halten nicht imstande sei, da sein Zustand nur
durch die Gegenwart Nataliens noch einigermaßen gelindert ward, ließ sich hierauf mit einiger Hast
vernehmen: »Man vergönne mir nur noch kurze Bedenkzeit, und ich vermute, es wird sich
geschwind entscheiden, ob ich Ursache habe, mich weiter anzuschließen, oder ob nicht vielmehr
Herz und Klugheit mir unwiderstehlich gebieten, mich von so mancherlei Banden loszureißen, die
mir eine ewige, elende Gefangenschaft drohen.«
So sprach er mit einem lebhaft bewegten Gemüt. Ein Blick auf Natalien beruhigte ihn
einigermaßen, indem sich in diesem leidenschaftlichen Augenblick ihre Gestalt und ihr Wert nur
desto tiefer bei ihm eindrückten.
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»Ja«, sagte er zu sich selbst, indem er sich allein fand, »gestehe dir nur, du liebst sie, und du
fühlst wieder, was es heiße, wenn der Mensch mit allen Kräften lieben kann. So liebte ich Marianen
und ward so schrecklich an ihr irre; ich liebte Philinen und mußte sie verachten. Aurelien achtete ich
und konnte sie nicht lieben; ich verehrte Theresen, und die väterliche Liebe nahm die Gestalt einer
Neigung zu ihr an; und jetzt, da in deinem Herzen alle Empfindungen zusammentreffen, die den
Menschen glücklich machen sollten, jetzt bist du genötigt zu fliehen! Ach! warum muß sich zu diesen
Empfindungen, zu diesen Erkenntnissen das unüberwindliche Verlangen des Besitzes gesellen?
und warum richten ohne Besitz eben diese Empfindungen, diese Überzeugungen jede andere Art
von Glückseligkeit völlig zugrunde? Werde ich künftig der Sonne und der Welt, der Gesellschaft oder
irgendeines Glücksgutes genießen? wirst du nicht immer zu dir sagen: : Natalie ist nicht da!9 , und doch
wird leider Natalie dir immer gegenwärtig sein. Schließest du die Augen, so wird sie sich dir
darstellen; öffnest du sie, so wird sie vor allen Gegenständen hinschweben wie die Erscheinung, die
ein blendendes Bild im Auge zurückläßt. War nicht schon früher die schnell vorübergegangene Gestalt
der Amazone deiner Einbildungskraft immer gegenwärtig? Und du hattest sie nur gesehen, du
kanntest sie nicht. Nun, da du sie kennst, da du ihr so nahe warst, da sie so vielen Anteil an dir
gezeigt hat, nun sind ihre Eigenschaften so tief in dein Gemüt geprägt als ihr Bild jemals in deine
Sinne. Ängstlich ist es, immer zu suchen, aber viel ängstlicher, gefunden zu haben und verlassen zu
müssen. Wornach soll ich in der Welt nun weiter fragen? wornach soll ich mich weiter umsehen?
Welche Gegend, welche Stadt verwahrt einen Schatz, der diesem gleich ist? Und ich soll reisen,
um nur immer das Geringere zu finden? Ist denn das Leben bloß, wie eine Rennbahn, wo man
sogleich schnell wieder umkehren muß, wenn man das äußerste Ende erreicht hat? Und steht das
Gute, das Vortreffliche nur wie ein festes, unverrücktes Ziel da, von dem man sich ebenso schnell
mit raschen Pferden wieder entfernen muß, als man es erreicht zu haben glaubt? anstatt daß jeder
andere, der nach irdischen Waren strebt, sie in den verschiedenen Himmelsgegenden oder wohl
gar auf der Messe und dem Jahrmarkt anschaffen kann.«
»Komm, lieber Knabe!« rief er seinem Sohn entgegen, der eben dahergesprungen kam, »sei
und bleibe du mir alles! Du warst mir zum Ersatz deiner geliebten Mutter gegeben, du solltest mir
die zweite Mutter ersetzen, die ich dir bestimmt hatte, und nun hast du noch die größere Lücke
auszufüllen. Beschäftige mein Herz, beschäftige meinen Geist mit deiner Schönheit, deiner
Liebenswürdigkeit, deiner Wißbegierde und deinen Fähigkeiten!«
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